ESG steht weiter im Fokus der Kapitalanlage – nicht trotz, sondern gerade wegen aktueller Herausforderungen und Regulierungen auf europäischer Ebene. Was auf den ersten Blick wie ein Rückzug aussieht, ist in Wahrheit ein Reifungsprozess. Tatsächlich mehren sich die Stimmen, die vom Ende eines vermeintlichen Strohfeuers sprechen, von einem Trend, der zu viel versprochen und zu wenig gehalten habe. Der Gegenwind ist unübersehbar. Unternehmen streichen ihre Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme, globale Finanzinstitute verlassen internationale Allianzen wie die Net-Zero-Banking Alliance – das alles wirkt wie ein Rückzug von der ESG-Front. Doch dieser Eindruck greift zu kurz und übersieht das Fundament, das in den vergangenen Jahren gelegt wurde.
Denn ESG war nie ein Modetrend, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels. Nachhaltigkeit, gesellschaftliche Verantwortung und gute Unternehmensführung sind keine Kür mehr, sie sind Pflicht – nicht zuletzt getrieben durch Regulierungen wie die Offenlegungsverordnung (SFDR) oder die Taxonomie-Verordnung der EU. Diese rechtlichen Vorgaben schaffen Klarheit und Vergleichbarkeit. Was vorher mit viel Interpretationsspielraum behaftet war, wird nun zunehmend messbar, nachvollziehbar und in konkrete Handlungspflichten gegossen. Der regulatorische Druck nimmt zu, und mit ihm die Notwendigkeit, ESG nicht nur als Schlagwort zu begreifen, sondern als strategisches Leitmotiv. Gerade in einer Zeit, in der geopolitische Spannungen, Energiekrisen und wirtschaftliche Unsicherheit zunehmen, wird deutlich, dass ESG kein Luxus ist, sondern Teil der Lösung.
Was wir derzeit beobachten, ist kein Abgesang, sondern ein Übergang. Ein Übergang von oberflächlichen Marketingkampagnen hin zu belastbaren Strukturen. Die Zeit der ESG-Symbolpolitik neigt sich dem Ende zu. Statt bloßer Mitgliedschaft in Allianzen oder öffentlichkeitswirksamer Bekenntnisse zählt nun, was im Geschäftsmodell verankert ist und welchen realen Impact Unternehmensentscheidungen haben. Das mag für manche unbequem sein. Es ist allemal schwieriger, ESG im Kerngeschäft zu leben, als ein paar wohlklingende Ziele auf die Webseite zu schreiben. Aber gerade darin liegt die Chance: Wer heute Substanz schafft, sich ernsthaft mit Nachhaltigkeitsrisiken auseinandersetzt und Transparenz schafft, wird morgen zu den Gewinnern gehören.
Auch Anlegerinnen und Anleger erkennen zunehmend die langfristige Relevanz von ESG-Kriterien. Sie sind ein Werkzeug zur Risikominimierung und zur Identifikation resilienter Geschäftsmodelle – besonders in unsicheren Zeiten. ESG ist nicht tot. Es wird nur erwachsen. Und wie das oft so ist mit dem Erwachsenwerden: Es tut weh, kostet Kraft und bringt Enttäuschungen mit sich. Aber es legt den Grundstein für langfristigen Erfolg. Genau darum bleibt ESG im Zentrum der Kapitalanlage – aus Überzeugung, mit Augenmaß und gestützt durch klare regulatorische Leitplanken.